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NEIGHBORHOOD

Gisela Hoffmann – Petra Naumann

TERMIN:
22.09.2013 bis 17.11.2013

Gisela Hoffmann – Petra Naumann
Installation - Zeichnung – Malerei – Objekte
22.09.2012 – 28.11.2013
Vernissage: Sonntag 22.09.2013, 11.00 Uhr
Laudatio: Dr. Dieter Rossmeissl, Kulturreferent Stadt Erlangen
Musik: Cornelia Effner, Nürnberg
Buffet: Brot, Suppe und mehr

 

Für Gisela Hoffmann ist die Linie in all ihren Arbeiten das definierende Medium. Sei es, dass Sie eine Lineatur beschreibt, eine Grenze oder eine Fläche definiert, immer schafft die Linie Raum. Mit Ihren modularen Systemen schafft sie wandelbare Zwischenräume, Spannungsräume, Farbräume oder auch Denkräume. Als minimalistisch arbeitende Künstlerin ist für sie Reduktion nicht gleichbedeutend mit Verzicht. Im Gegenteil, wo wenig ist, kann sich mehr entwickeln. Die Kreativität des Betrachters wird gefördert und die Wahrnehmung sensibilisiert. Raum ist nicht Leere, sondern unerschöpfliche Fülle.
Petra Naumanns künstlerische Äußerungen spiegeln den Wohnort am Wasser wider. 30 Jahre Weiden-, Buchen- und Eichenäste brennen sich als innere Bilder ein. Die Beobachtung von Zeitläufen und das Interesse an charakteristischen Naturformen treffen sich in verschiedenen Mischtechniken von Papier über Gips und Acrylglas bis Leinwand.

Großzügige Unterstützung der Ausstellung durch:
Bezirk Mittelfranken,
Dauphin office interiors GmbH & Co. KG, Offenhausen
Steuerkanzlei Raimund Fleischmann, Nürnberg – Dresden


Wenn man zwei Künstlerinnen zugleich präsentiert, stellt sich unmittelbar die Frage nach der Gemeinsamkeit, nach dem „Dach“, das sich über die unterschiedlichen Arbeiten und unterschiedlichen Personen wölbt. Der Titel „Neighborhood“ verweist auf mehrere Nachbarschaften, die hier prägend sein können: Da sind zunächst die Wohnorte: Gisela Hoffmann hat nach dem Studium der Kunstgeschichte in Erlangen, Praktikum in der Werkbund-Werkstatt Nürnberg und ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg ihren Wohnort wieder in Roßtal gefunden. Petra Naumann, die an der Europäischen Akademie für Kunst in Trier und der Sommerakademie in Salzburg studiert hat, arbeitet als freischaffende Künstlerin in Stein. Die Wohnortnähe beider führte dazu, dass sich beide auch seit langem kennen, so dass es fast zwangsläufig ist, dass sie ihre Werke nun auch gemeinsam hier präsentieren.

Es gibt aber auch eine thematische Nachbarschaft zwischen beiden:

Es geht um die Linie als Thema.

Eine Linie scheint etwas Einfaches zu sei: Man macht einen Strich aufs Papier, und schon hat man sie. Schaut man aber etwas genauer hin, so erweist sich die Linie als etwas sehr Differenziertes, als ein Träger ganz unterschiedlicher Funktionen. Eine Linie kann Trennung markieren; sie teilt in rechts und links, in oben und unten, sie separiert und weist unter-schiedliche Plätze und Räume zu.  Weil aber die unterschiedlichen Flächen genau an dieser Linie aufeinanderstoßen und sich zumindest fast an dem dimensionslosen Gebilde berühren, ist die Linie auch zugleich ein Mittel der Verbindung. Fügt man der Linie einen Pfeil hinzu wird aus Trennung und Verbindung eine Bewegung, eine Richtungsangabe, eine: „Entwick-lungslinie“. Pfeile werden wir in dieser Ausstellung nicht sehen, Entwicklungslinien allerdings durchaus. Auch die Form der Linie kann unterschiedlich sein: Sie kann gerade sein und damit klare Gliederungen bewirken; sie kann geschwungen sein, ornamental, Bilder umreißen und damit an das Gegenständliche rühren. Die Linie kann Träger von Farbe sein, sich damit fast schon ins Gegenständliche transponieren, Aufmerksamkeit jedenfalls erwecken für sich selbst, nicht nur für die Flächen die sie trennt oder verbindet. Die Linie kann Rahmen sein für Flächen, Räume oder ganze Bilder, von den Höhlenmalereien über Strichmännchen bis zu Flächen und Räumen, die erst durch das Bestehen der Linie definiert werden.

Linien als zweidimensionale Objekte kommen in unserer dreidimensionalen Welt eigentlich gar nicht vor. Sie lassen sich natürlich erhöhen, zu Bändern weiter entwickeln die Räume trennen können und Botschaften vermitteln. Bei Gisela Hoffmann werden wir Etliches davon sehen. Aber gerade weil die Linie eigentlich nicht vorkommt und dennoch wirksam wird für die Existenz von Flächen und Räumen, ist die Linie Ausdruck von Abstraktionsfähigkeit und damit von einer höheren Entwicklungsstufe. Sie kann Gegenstände bezeichnen, gegenständliche Kunst entfalten, wie bei den Objekten von Petra Naumann.

Sie kann als abstrakte Kunst daherkommen, weil sie von den Gegenständen sich fort entwi-ckelt zur gestalteten Form. Auch das können wir bei den Arbeiten von Petra Naumann besonders gut sehen.

Und sie kann als konkrete Kunst sich darstellen, als Kunst, die nicht mehr nur „abstrakt“ ist, da sie nicht mehr in der Natur vorhandene Gegenstände abstrahiert, sondern im Gegenteil etwas Geistiges materialisiert in Fläche und Raum, wie wir es vor allem bei den Arbeiten von Gisela Hoffmann sehen. Damit stellt sich allerdings die Frage nach dem Material.

Gisela Hoffmann hat bei Stefan Eusemann und Hanns Herpich Textiles Arbeiten studiert. Das ist nicht erstaunlich, da ihr Vater Textilkaufmann war und ihre Mutter Schneiderin. Was Sie heute sehen, hat mit unserer gängigen Vorstellung von textilen Arbeiten jedoch wenig oder nichts zu tun. Sie verweist auf ihre Polyestergewebe und betont den Zusammenhang mit den Textilarbeiten. Viele ihrer Objekte sind aber auch aus Plexiglas gebildet, das sie selbst bearbeitet, mit dem sie den textilen Herkunftsbereich endgültig in Richtung auf neues Material verlassen hat. Der Grund dafür kann zunächst ein praktischer sein: Gisela hat viele Arbeiten im Außenbereich geschaffen, u. a. in München, in Ingolstadt, Freiburg und vielen anderen Städten. Der Außenbereich verlangt stabile Materialien und Plexiglas bietet sich dafür hervorragend an. Aber noch etwas anderes fasziniert sie offenbar mehr: Es ist die Transparenz des Materials, eine Transparenz, die Form und damit auch Begrenzung auflöst, da sie Durchblicke ermöglicht, Durchlässe für das Licht schafft. „Ich mag keine geschlosse-nen Räume. Ich mag Durchblicke“, sagt sie und spricht von Raumlinien, die ihre Arbeiten gliedern und prägen. Es sind neongelbe Gewebe, fluoreszierendes Material, die jedoch vor weißen Wänden ausgestellt werden, ohne Kunstlicht. Gisela Hoffmann verlässt sich auf das Tageslicht, auf ein Licht also, das offen ist für den Wechsel im Tagesverlauf, und das damit trotz der statischen Materialien Bewegung und Veränderung in seine Wirkung einbezieht. Das hat sie schon mit der Scheibe gezeigt, die sie am Museum für konkrete Kunst in Ingol-stadt angebracht hat: Fluoreszierendes Plexiglas, das den Blick zulässt von außen nach in-nen, aber nicht um Bilder zu zeigen, sondern Licht, Farbe und Form. Es sind Arbeitstitel wie „Sichtbar – Unsichtbar“, die dieses Spiel mit der Veränderung, mit der Transparenz, mit der Abgrenzung und Öffnung von Räumen „scheinbar“ sichtbar macht.

Und genau darum geht es ihr: Raumstrukturen wahrnehmbar zu machen, Raum nicht zu nehmen, sondern zu geben und zu schaffen. In ihrem Anschreiben an mich heißt es, sie zei-ge hier „keine großen Installationen, sondern solitäre Arbeiten, stets Raum gebend“. Dieses Räume geben ist ihr wichtig, gerade dort wo die Räume zunächst nicht auffallen, wo die Li-nien, die unterbrochenen Linien, die Begrenzungen zunächst ins Auge fallen, und erst der zweite Blick die Räume wahrnimmt, die sie definieren. Diese Räume sind transparent, sie engen nicht ein, sondern öffnen, weil sie durchbrochen sind, weil sie transparent und licht sind. Es sind Linien, die Räume zeigen oder gar nur andeuten. Seh-Räume, Denk-Räume, Zwischen-Räume („meta-spaces“). Es sind Orte ästhetischer wie reflexiver Freiheit, die uns einen „Einblick“ erlauben, wie auch eine ihrer Arbeiten betitelt ist.

Petra Naumann kommt „natürlicher“ daher. Sie wohnt an einem Weiher und betont diesen Lebensraum. Sie fühlt und arbeitet Natur nach und Hanns Herpich meint, ihr Schaffen sei „der Natur analog“.

Petra Naumann ist ein Morgenmensch, Malerin, schon vom malenden Vater her, aber sie kommt – wie sie sagt – „an Grenzen, wo mich das Malen nicht mehr ausfüllt“. Und dann ist die Natur das, was sie nicht nur sieht, was sie nicht nur zu ihren Arbeiten anregt, sondern was sie in ihren Arbeiten gestaltend aufnimmt. „Mit wachem Auge beobachtend, was hinter den Dingen liegt, übersetze ich, was mich umgibt in die Sprache meiner Bilder“. Das können dann „Luststücke“ sein (wie eine ihrer Arbeiten heißt). Häufiger aber ist es einfach die Natur im Wandel. Es sind die Um-Gestaltungsprozesse der Natur, die Petra Naumann faszinieren: Zerfallsprozesse, die nicht am Ende ihrer Arbeit stehen, sondern die sie bewusst an den An-fang ihrer Arbeit setzt. Genau deshalb ist der Zerfall des Materials nicht morbide, sondern eingebunden in den natürlichen Wechsel von Zerfall und anschließendem Werden. Wer mit dem Zerfall beginnt und diesen festhält, hat das Werden als Projekt vor sich: „Ich teile und teile, bis Materie zerfällt. Mein Werk beginnt“.
Es passt dazu, dass etliche Bilder dieser Ausstellung aus ihrer Serie „Zeitlauf“ stammen.
Die Materie, die Petra Naumann beschäftigt, ist vielfältig „Ich bin ein experimenteller Typ“,, sagt sie und meint auch ihre Lust auf immer anderes Material. So entstehen Installationen wie die Elemente aus der „Fundusreihe“ oder die Arbeiten, die hier unter dem Titel „Bewahrt“ zu sehen sind: Organische Materialien, eingebunden in Gips, dort also bewahrt vor der Ver-änderung für die Zukunft, nicht mehr lebendig und gerade deshalb dauerhaft.
So entstehen Collagen, Arbeiten aus Papier und Pappe, Arbeiten auch aus Acryglas mit Siebdruckfarbe bemalt und Zeichnungen auf Leinwand. All diese Facetten können Sie in dieser Ausstellung sehen. Sie zeigen die Breite, allein der materiellen Basis von Petra Nau-manns Arbeiten.
Bei vielen dieser Arbeiten sind die Gegenstände von denen sie ausgeht, die sie ihren Arbei-ten zu Grunde legt, deutlich zu erkennen. Formal lassen sich ihre Äußerungen auf ein Spiel ihrer Linien reduzieren – nicht die strukturierende, konstruktive, auch minimalistische Linie, wie sie Gisela Hoffmann beschäftigt, sondern die gegenstandsbezogene und doch abstra-hierte, ornamentale, expressive Linie, die sie von der Substanz ihrer Gegenstände leiten lässt, sie erkennbar bewahrt, sie aber nicht abbildet, sondern sie in formale Ästhetik auflöst. So sind die Arbeiten von Petra Naumann abstrakt und gegenständlich zugleich.
Diese Ausstellung zeigt die Nachbarschaft von zwei Künstlerinnen und sie ist geprägt von der trennenden, verbindenden, gestaltenden Funktion, die Linien entfalten können. Sie zei-gen Ihnen abstrakte Gegenstände, konkrete Formen und sparsam definierte Räume. Lassen Sie sich auf diese Räume ein. Vielleicht werden Sie sie als Räume der Freiheit erleben. Das wünsche ich Ihnen für Ihre Auseinandersetzung, für Ihr Eintauchen in diese Ausstellung.
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Neighborhood“ von Petra Naumann und Gisela Hoff-mann in der Galerie Destillarta
22.09.2013  © Dr. Dieter Rossmeissl





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04_gh_linear01_2009_auflage15_32x114x3cm

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04_pn_zeichnung aus der reihe zeitlauf_acrylglas_2010_48x120cm

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