Kulturladen Schloss Almoshof
Vernissage: Sonntag, 13. September, 15 Uhr
Einführung: Dr. Leszek Szuster, Direktor der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz/Oświęcim sowie Dr. Joachim Russek, Direktor der Stiftung Judaica, Zentrum für Jüdische Kultur in Krakau
Grußwort: Kulturladen Schloss Almoshof; Martin Kreß, Gallerie Destilarta
Musikalische Begleitung: Fred Munker, Klavier
Ausstellungsdauer: 13. September bis 18. Oktober 2015
Im Anschluss zur Ausstellungseröffnung am 13.09.2015: Eine Performance der UGANDA DANCERS.
Die Ausstellung findet statt mit Unterstützung durch das Amt für Internationale Beziehungen, Nürnberg und in Kooperation mit der Galerie Destillarta.
Laudatio von Paweł Warchoł, Auschwitz und Dr. Joachim Russek, Krakau:
Unsere heutige Zivilisation mag keine echten Gesichter. Die Menschen müssen schön sein. Der Kult um die universelle “Schönheit” hat sich zu einem enormen Wirtschaftszweig entwickelt. Medizin und Pharmaindustrie gehören zu den wichtigsten Pfeilern der Weltwirtschaft. Kosmetikprodukte, Fitness- und Bodybuildingstudios erlauben uns, unsere Körper zu formen, was zuweilen auch groteske Züge annimmt, wenn sich eine Person allmählich in eine lebende Barbiepuppe beziehungsweise deren Bräutigam Ken oder eine misslungene Kopie einer Conchita Wurst verwandeln. Wo die Pharmaka und Schönheitschirurgie nicht mehr reichen, bleibt noch die digitale Bildbearbeitung in einem professionellen Fotoatelier.
Ein ganz gewöhnlicher Mensch, insbesondere im erwachsenen oder gar fortgeschrittenen Alter, dessen Aussehen nicht einmal durch auffällige Makel, sondern lediglich durch eine offensichtliche “Alltäglichkeit” geprägt ist, kann sich ausgeschlossen und ausgegrenzt fühlen.
Solche Antlitze bekommt man doch in den modernen Medien gar nicht zu sehen.
Dort herrschen die besagten “Kunstoffschönheiten” oder müde, oft grausame, wütende, von Krieg und Hunger verzerrte Gesichter vor.
Dies ist wohl der Grund dafür gewesen, dass sich vor rund 10 Jahren eine ausgeprägte Sehnsucht nach dem Echten und Unverfälschtem in seiner Gedankenwelt freizusetzen begann, eine Art Suche nach dem Schönen in der Normalität. Dann folgten philosophische Auseinandersetzungen mit dem Wesen des “Wahren”. Die Suche nach Themen und Motiven erforderte keine besonderen Bemühungen.
Zitat:„Ich setzte mich einfach ins Auto und fuhr etwa 150 Kilometer weit, um Angehörige zu besuchen. Es galt, die Warchołs neu zu entdecken, diese hartnäckigen Menschen, die weiterhin im Einklang mit ihrem Gewissen und ihren Idealen leben, denen möglicherweise nicht einmal der Begriff “Konformismus” geläufig ist.
“Naturalistisch porträtierte Familienangehörige und der Künstler selbst bringen gemeinsame sowie individuelle Züge zum Vorschein, die dem Betrachter ein breites Spektrum von ein und demselben genetischen und genealogischen Code eröffnen.
Die abgebildeten Gesichter gehören nicht nur Warchołs Angehörigen, es sind auch die Gesichter jener als Aufwiegler oder Störenfriede (so viel bedeutet nämlich das Wort “Warchoł” im Polnischen) denunzierten Arbeiter, die vor mehr als 30 Jahren gegen das kommunistische Machtsystem aufbegehrten. Es sind zermürbte Gesichter von gewöhnlichen Menschen, die durch ihre Wahrheitsliebe, Grundsatztreue und Unbeugsamkeit Geschichte machten. Heute entfalten sie eine neue symbolische Bedeutung – sie stehen für Vergessenheit und Ausgrenzung.” – schrieb Agata Smalcerz über diese Zeichenporträts. Es entstanden ganz gewöhnliche Porträts von ebenso gewöhnlichen, älteren Menschen. Die Struktur des Gesichts wird dabei gleichzeitig zur Struktur der gesamten Zeichnung, zu einer Landkarte der Realität, die die Anwendung von einem breiten Spektrum grafischer Mittel ermöglicht. Das mehrstündige, mühsame Zeichnen der grafischen Struktur wird mit den nur skizzenhaft angerissenen, mit wenigen Linien markierten oder gar grafisch unausgesprochenen Elementen kontrastiert.
Obwohl die einzelnen Bilder konkrete Personen darstellen, erinnert die tagelange Arbeit daran eher an ein Selbstgespräch, das durch die Spezifik der künstlerischen
Ausdrucksform als eine Form von Meditation in einem sehr universellen Sinne anmuten kann. Alle Zeichnungen wurden mit einfacher schwarzen Tusche auf gewöhnlichem Karton angefertigt.
Die Meditation bildete auch die Grundlage für den Zeichenzyklus “Grabtücher” (poln. Całuny). Viele dieser Reisereminiszenzen entstanden nicht im Kunstatelier, sondern in Eisenbahnwaggons, Bahnhofshallen oder Flughafenterminals. Düster wie die Nacht im Pariser 13. Arrondissement, bedrückend, deprimierend und vollgepackt mit Aggressivität wie ein nächtlicher Spaziergang durch Omonia in Athen oder Berlin-Neukölln. An die Stelle der auf dem Grabtuch Christi sichtbaren Wunden treten nun die Wunden der heutigen Zivilisation der Ausgrenzung. Statt der im Turiner Grabtuch durch mysteriöse Kraft eingebrannten Blutflecken sehen wir eine grafische Niederschrift, ob es jedoch eine Aufzeichnung des Todes oder der Auferstehung ist, bleibt dahingestellt.
© Paweł Warchoł, Auschwitz - Dr. Joachim Russek, Krakau
Es gilt das gesprochene Wort.