Vernissage: Sonntag, 03.11.2013, 10.30 Uhr
Eingangsvotum: Pfarrerin Knoch
Eröffnung: Johann Völkl, 1. Bürgermeister, Markt Roßtal
Predigt: Peter Seidel, Pfarrer i. R.
Gedanken: Bernd Zachow, Nürnberger Nachrichten
Laudatio: Dr. Axel Feuß, Flensburg
Musik: Instrumentaltrio Svetlana Klimova, Oleg Galperin, Michael Matthes; Violine, Cello und Orgel
Finissage: 30.11.2013, 17:00 Uhr mit der Präsentation des Ausstellungskataloges und einem Orgelkonzert von Kirchenmusikdirektorin Sirka Schwartz-Uppendieck
"Willkommen im Paradies?"
Gedanken zu neuen Zeichnungen von Béla Faragó - Zur Ausstellungseröffnung in der evang. Pfarrkirche Buchschwabach am 3. November 2013
Meine Damen und Herren,
Die Vorstellung von einem paradiesischen Beginn der Menschheitsgeschichte war in der antiken Welt weit verbreitet. Angeregt von uralten Mythen aus Vorderasien und aus Griechenland beschreibt der römische Dichter Ovid jenes "Paradies" in den Versen: "Und es entstand die erste, die goldene Zeit: ohne Rächer, ohne Gesetz, von selber bewahrte man Treue und Anstand. Strafe und Angst waren fern: Alles war gesichert....Selbst die Erde, vom Dienste befreit, nicht berührt von der Hacke, unverwundet vom Pflug, so gewährte sie jegliche Gabe. " Doch stellte sich heraus, dass der Mensch das einzig Unvollkommene in jener Zeit der Vollkommenheit war. Die paradiesischen Zustände endeten. Sie können aber -zumindest teilweise- neu erstehen, wenn das Menschengeschlecht geduldig und hartnäckig an seiner Vervollkommnung arbeitet.
In der jüdisch- christlichen Überlieferung sieht das ganz anders aus. Auch dort sind die Menschen unvollkommen, jedoch verlieren sie das Paradies nicht deshalb, sondern ganz im Gegenteil. Sie werden aus dem Garten Eden vertrieben, weil sie nach Vollendung streben. Zusammenfassend gesagt: Für Griechen und Römer war der Mensch das, was er aus sich gemacht hat. Die Götter hatten damit wenig bis gar nichts zu tun. Nach dem Glauben von Juden und Christen, dem sich später die Muslime angeschlossen haben, ist der Mensch das, und nur das, was der alleinige Gott ihn hat werden lassen.
Die biblische Geschichte vom Sündenfall und von der Vertreibung aus dem Paradies, wie sie im 1. Buch Mose erzählt wird, versinnbildlicht aus tiefenpsychologischer Sicht einen Generationskonflikt. Die "ersten Menschen" sind Kinder Gottes, die sich in einer instinktiven Revolte aus der "unschuldigen" Bindung an ihren "Vater" lösen und eine erwachsene, durch Entscheidungsfreiheit und Schuldfähigkeit gekennzeichnete Persönlichkeit entwickeln. So gesehen vollendet sich die Menschwerdung erst durch die letztendlich zwangsläufige Abwendung von den paradiesischen Verhältnissen, deren Preis die Unmündigkeit war. "Und das Weib schaute an, dass von dem Baum (der Erkenntnis des Guten und des Bösen) gut zu essen wäre und dass er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte", heißt es in der Bibel. Und das Weib aß vom Baum, dann gab sie auch ihrem Mann, der ebenfalls aß.
Dass auch die "Klugheit" und die Freiheit ihren Preis hatten, haben die ersten Menschen zweifellos erst später erkannt. Sie mussten hinaus ins feindliche Leben jenseits des Gartens Eden. Da war keiner mehr, der für sie sorgte. Weit und breit kein Papa, der im Notfall "schon alles richten wird", sondern Mühe und Arbeit, Sorgen und Zweifel sowie die ewige Last des Lernens, des Vergleichens und der Wahl. So ist allemal verständlich, dass sich die Vertriebenen von Anfang an mit Nostalgie an ihr einstiges Sein im Paradiesgärtlein erinnerten. Dies, so möchte man meinen, war der Anfang der Religion.
Wie auch immer: Tatsache ist , die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies steht im Zentrum der drei durch eine gemeinsame Buch-Tradition eng verwandten Religionen Judentum, Christentum und Islam, mit deren Denken und Handeln sich der Zeichner Béla Faragó eingehend beschäftigt hat. Für die Betrachtungsweise des Künstlers grundlegend sind die Fragen:
1) Wie stellen sich Juden, Muslime und Christen das Paradies vor? Aber auch:
2) wie hoffen die Angehörigen der besagten Religionen (nach der Erlösung aus dem irdischen Jammertal) das verlorene Himmelreich wieder zu erlangen?
Nach jüdisch-rabbinischer Überlieferung soll das Paradies zum Beispiel vor allem eine kolossale Fruchtbarkeit bieten. Erwartet wird eine Art "Schlaraffenland", "darin Milch und Honig fließt", wie es im Alten Testament zu lesen ist. Auch die Bäume werden in diesem neuen Garten Eden ständig üppig Frucht tragen, die Frauen werden täglich ohne Schmerzen gebären, ja die Erde wird sogar von selbst Brot, wollene Gewän der und Wein hervorbringen.
Ähnlich geht es im islamischen Himmelreich zu: "Allah belohnt die Gläubigen mit Gewändern aus Seide." Die Seligen liegen auf weichen "Ruhebetten" an einem Ort, an dem es keine sengende Sonne mehr gibt, sondern kühlen Schatten. Über den Seligen "hängen Trauben, und es kreisen unter ihnen Gefäße von Silber." "Und es tränkt sie ihr Herr mit reinem Trank."
Die eher abstrakte christliche Vorstellung von einer "neuen" Welt und einem "neuen" Himmel am "Jüngsten Tag" hat im Gegenzug immer wieder die volkstümliche Fantasie üppig ins Kraut schießen lassen. Im sogenannten "Bauerparadies" aus der frühen Neuzeit findet sich zum Beispiel eine aus heutiger Sicht ganz und gar politisch inkorrekte Aussage über das himmlische Reich: "Jeder wird Weiber haben und wird sie immer schön finden...", heißt es da.
All das können Sie bei näherer Betrachtung auf den Bildern von Béla Faragó finden. Achten Sie etwa auf die Bäume, die in großen Massen ganz neuzeitliche Paradiesfrüchte, nämlich dicke Autos und glitzernde Laptops, hervorbringen Und wie kommen Mann und Frau in den Genuss solcher überirdischer Seligkeiten?
Der christliche Leser erfährt davon im 18. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. "Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist doch der Erste im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte das mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet
ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Erste im Himmelreich." Was hier gefordert wird ist ein -zumindest teilweiser- Rückfall in die Unmündigkeit. Der rechte Weg des Menschen wird -auf eine zumindest leicht missverständliche Weise- mit der masochistischen Lust an der Unterwerfung und der Selbst-"Erniedrigung" in Verbindung gebracht.
Genau dieses Missverständnis (wenn es denn eines ist) thematisieren die Zeichnungen der Serie "Willkommen im Paradies" von Béla Faragó. Der Künstler zeigt uns eine Welt, in der, um es mit Karl Marx zu sagen, das "religiöse Elend in einem Ausdruck des wirklichen Elends ist und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend". Er zeigt die Religion als den "Seufzer der bedrängten Kreatur" und als "das Gemüt einer herzlosen Welt". Aber er verschweigt uns auch nicht, dass unter dem Mantel des Religiösen nach wie vor in aller Welt die Intoleranz, die Gewalt und die Massenhysterie gedeihen. Nicht nur im Nahen Osten suchen von allen guten Geistern verlassene religiöse Fundamentalisten und quasireligiöse Politaktivisten ihren Weg ins Paradies, indem sie allen NichtEiferern die Hölle auf Erden bereiten.
Der von der römischen Kirche zum "Heiligen" ernannte Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, dem auch der derzeitige Papst angehört, dieser St. Ignatius betete mit den folgenden Worten zu seinem Gott: "Nimm hin, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen." Gedächtnis, Verstand und freier Wille müssen also geopfert werden, wo jenes Glauben herrscht, das direkt ins Paradies führt.
Das besagte "kindliche" Unvermögen, eigenständig zu denken und selbstverantwortlich zu handeln, findet Béla Faragó jedoch ebenso auf Gebieten, die zunächst ganz und gar weltlich erscheinen. Seine Zeichnungen präsentieren Beispiele für einen (alle weltanschaulichen Grenzen überwindenden) säkularen Kult um die Götzen Geld und Technik. In einer Gesellschaft, die heillos verstrickt ist in die unsichtbaren Leimfäden des World-Wide-Web und in die Machenschaften der globalen Finanzwirtschaft, haben sich kuriose neue Vorstellungen von einem (irdischen) Paradies entwickelt. Sie erweisen sich zunehmend als die immer wilder wuchernden Auswüchse einer besonders raffiniert-dogmatischen Ersatzreligion, die nur wenige "Erwählte" und zahllose "Verdammte" kennt. Für die Masse der Verlierer bleiben allenfalls das eine oder andere falsche "Wunder" oder eine stets nur kurzzeitige "Erlösung" im Rahmen trügerischerGemeinschaftserlebnisse im Sport - Stadion.
Béla Faragós überwiegend schauerliche Bilder sind bei näherer Betrachtung keine Kritik an bestimmten Religionen oder bestimmten religiösen Praktiken, sondern eine generelle Absage an jede Art "blinder" Gläubigkeit, an alles Denken in Entweder-Oder-Schemata. Dabei ist es ihm letztlich einerlei, ob diese Zeugnisse geistiger Unmündigkeit irrational-reaktionär oder technokratisch-fortschrittlich kostümiert sind. Wir leben heute "vor der Alternative einer befreiten oder einer ins Barbarische zurückfallenden Welt, zwischen den Polen von Apokalypse und Utopie", meint der Kunstsoziologe Thomas Metscher. In dieser Situation ist Béla Faragó entschiedener Anhänger der Utopie. Seine Vorstellung vom "Paradies" ist ein von möglichst vielen Menschen zu schaffen der Ort, an dem jeder nach seiner ganz eigenen Fasson "selig" werden kann und darf.
Für kritische Künstler wie Béla Faragó war das Essen vom Baum der Erkenntnis kein Sündenfall, sondern eine Befreiung. Evas Tat verwandelte zwei fade, faule Konsumenten in zweifelnde, leidende, aber auch vor Liebe und Begeisterung brennende schöpferische Menschen. Die besten unter deren Nachkommen finden bis heute wenig Geschmack an der Vorstellung, für alle Ewigkeit ins Paradies heimzukehren. Sie ähneln alle dem Prometheus, dem der Dichter Goethe die folgende Ansprache an die oberste Gottheit in den Mund legte: "Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde. Ein Geschlecht, das mir gleich sei, zu leiden, zu weinen, zu genießen und zu freuen sich, und Dein nicht zu achten, wie ich!"
Die Künstler-Auffassung vom Paradies ist nicht gekoppelt mit Heilserwartung und Erlösungssehnsucht. Die Vorstellung des Künstlers vom wahren Leben ist vielmehr das Ergebnis eines ganz diesseitigen Gestaltungsauftrages. Denn letztlich ist es doch so, wie der Philosoph Ernst Bloch schreibt: "Alles und jedes steht noch VOR der Erschaffung der Welt als einer rechten. Die wirkliche Genesis beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt: sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat." Heimat oder das Reich der Humanität oder das Paradies nach menschlichem Maß, wenn Sie so
wollen. Möge die Menschheit die Sehnsucht nach DIESEM Paradies nie verlieren!!! Amen.
Bernd Zachow
© Galerie Destillarta